84

 Skulptur; Glycerinseife, Bronze, 100x100x15 cm; 2007

Ausgestellt im Rahmen des internationalen inklusiven Theaterfestivals OKKUPATION!, Standort Seeufer Kulturzentrum Rote Fabrik, Zürich; 05.–17.06.2007

Die Arbeit 84 steht für das letzte, achte Kapitel des Zyklus »Jagd nach dem Glück« und unterliegt dem Gedanken des Memento Mori, dem Satz »Bedenke, daß du sterben mußt«. In Lewis Carrolls absurder Fabel »The Hunting of the Snark« gibt es ein Schlüsselzitat, das der Seife als Material zugrunde liegt: »Sie suchten mit Handschuhn – und suchten mit Plan; Sie jagten mit Hoffnung und Gabeln; Sie bedrohten sein Leben mit Aktien der Bahn; Sie lockten mit Seife und Fabeln.« Die Seifenskulptur 84 wurde für den öffentlichen Raum konzipiert. Uns interessierte die Vergänglichkeit bzw. Haltbarkeit des Materials. Ihre Erscheinung als Grabsteinplatte, versehen mit dem aktuellen Jahr als Todesjahr einer weiblichen Person, lassen wir eine reale Biografie aufscheinen, die auch die unsrige oder die einer Betrachterin sein kann. Eine Frau in der Schweiz hat 2007 laut BfS eine durchschnittliche Lebens­erwartung von 84 Jahren. Davon ausgehend, dass diese Frau im aktuellen Jahr 2007 stirbt, recherchierten wir auf Zürichs größtem Friedhof Sihlfeld nach sämtlichen bereits verstorbenen Frauen aus dem Geburtsjahrgang 1923 (2007 minus 84). Aus allen 123 aufgefundenen weiblichen Vornamen ermittelten wir den häufigsten: Dicht gefolgt von Maria und Anna überragte der Name Gertrud bzw. Trudi. Die Inschrift der Seifenplatte lautet demnach TRUDI 2007–1923. Das Seifenobjekt überließen wir dem witterungsbedingten Verfallsprozess.

»Gerade mitten im Wort, das er halb schon gesagt
Gerade mitten im Glück offenbar
Wurd` er leise zu Luft
Wie ein Traum, der verpufft –«
Lewis Carroll, The Hunting of the Snark

Die Jagd nach diesem Glück, die Hatz nach etwas Besserem, Höherem, Weiterem wird in der Erzählung von Lewis Carroll ad absurdum geführt, da schlussendlich derjenige, der das sogenannte Glück findet, sich in Luft auflöst, stirbt: Die Seifenplastik lehnt sich an diesen Gedanken Carrolls an, auf unseren Traum verweisend, der wohl ebenso irgendwann verpuffen wird. Was genau in diesem Moment des höchsten Glücksempfindens geschieht bleibt offen und der Rezeption des Betrachters überlassen. Mit unserer hier vorgestellten Arbeit rollen wir Carrolls Geschichte der Glückssucher von hinten wieder auf, indem wir den Betrachter unmittelbar mit seinem eigenen Ableben konfrontieren. Wir legen das Sterbedatum auf den Beginn der Ausstellung und provozieren damit (wenn es glückt) eine Zurückverfolgung einer möglichen Biographie unserer fiktiven beerdigten Person – zurückgeworfen auf die eigene. Die Seife als Material unterstützt die Thematik der Vergänglichkeit. Der Witterung ausgesetzt, wird sie stetig weniger, und die Spuren des Individuums werden verwischt und weggeputzt. Regenwetter breitet den besetzten Meter schließlich aus und er setzt sich fort. Gleich einem parasitären System heftet sich die Masse an den Vorbeigehenden fest. Die gleitende und rutschige Eigenschaft der Seife vermittelt Unsicherheit, verlangsamt den Schritt. Man hält inne, achtet auf seinen Schritt, bemerkt eine Störung im Vertrauten. Als Werkzeug der Reinlichkeit kann man die Seife gleichzeitig als Metapher der Suche nach dem Glück behandeln: man erhofft sich eine kathartische Wirkung, die zur ersehnten »Reinheit des Gewissens« führt, zu einem inneren Gleichgewicht. Ist die Seifen-Grabsteinplatte schlussendlich verwittert, bleiben lediglich die metallenen Buchstaben zurück. Die Körperlichkeit tritt zugunsten der Erinnerung an das Erlebte, an eine Person oder an den Ort, zurück. Die Erinnerung daran aber fabuliert weiter und eröffnet Freiräume für eigene Glücks- und Überlebensstrategien.

Die Arbeit 84  ist Teil des Werkkomplex Glück. Diesem dient Lewis Carrolls Erzählung »The Hunting of the Snark« als literarische Arbeitsgrundlage.

Dank an die Firma permatin AG – Seifenkultur, sie hat die Seife hergestellt und finanziert.